Juden in Jebenhausen und Göppingen

Am 7. Juli 1777 wurde in Jebenhausen ein Vertrag unterzeichnet, der die Gründung einer jüdischen Siedlung auf der Markung des Dorfes einleitete. Die Initiative hierzu hatte der jüdische Handelsmann Elias Gutmann (1735-1796) ergriffen, der - in Illereichen bei Memmingen beheimatet - für seine und weitere jüdische Familien nach einer gesicherten Zukunft suchte, die ihnen die ungehinderte Religionsausübung wie das wirtschaftliche Auskommen bieten sollte. Das reichsunmittelbare Rittergut Jebenhausen, in dem die Freiherren von Liebenstein seit dem 15. Jahrhundert die Ortsherrschaft ausübten, konnte den jüdischen Familien eine solche Perspektive bieten. Im umliegenden Territorium des Herzogtums Württemberg hätte man Juden als größere Gemeinschaft zu dieser Zeit und auch noch in den folgenden Jahrzehnten nicht geduldet.

Die Ortsherrschaft Jebenhausens war an einer Ansiedlung jüdischer Familien interessiert, weil sie über die von den Juden zu zahlenden Abgaben direkt und über deren Handelstätigkeit indirekt die Verbesserung ihrer Einkünfte erwarten durfte. Ebenso wichtig war aber auch die Überlegung, dass die Juden - modern ausgedrückt - die Nachfrage nach im Ort produzierten Gütern und möglichen Dienstleistungen steigerten. Den Juden war schließlich bis in das beginnende 19. Jahrhundert die Ausübung bürgerlicher oder zünftiger Berufe verwehrt. Demzufolge waren es christliche Maurer, Zimmerleute und Dachdecker, welche die Häuser der Juden erbauten.


Schutzbrief

Titel des am 7.7.1777 in Jebenhausen unterschriebenen Schutzbriefs.

Die Regeln der Ansiedlung und die Pflichten und Rechte der Juden wie der Ortsherrschaft wurden in dem so genannten Schutzbrief, einem 19 Paragraphen zählenden Vertrag, niedergeschrieben. Dass dieser Vertrag nicht wie vergleichbare Schutzbriefe eine zeitliche Befristung hatte, belegt die entgegenkommende Haltung der Ortsherren von Liebenstein. Überdies waren sie so tolerant, den Juden die freie Religionsausübung zuzugestehen und deren Gebräuche, Riten und Feste zu respektieren. (Zitat)

1777 wurde das jüdische Jebenhausen mit 31 zugezogenen Personen begründet. Die im Schutzbrief noch erwähnte Obergrenze von 20 Familien wurde von der Ortsherrschaft bald fallen gelassen. Um 1800 lebten schon fast 200 Juden in Jebenhausen, um 1850 - auf dem Höhepunkt des Anwachsens der jüdischen Gemeinde - waren es rund 550; zu dieser Zeit zählte das Christendorf etwas über 600 Seelen. Jebenhausen war eine der großen jüdischen Landgemeinden im Königreich Württemberg. Denn mit der Auflösung der ritterschaftlichen Besitzungen waren 1805 auch die Gebiete der Herren von Liebenstein an Württemberg gekommen. Am 23. Oktober 1806 huldigten die christlichen wie jüdischen Einwohner Jebenhausens dem ins Dorf gekommenen Stuttgarter Kreishauptmann Graf von Uexkuell und leisteten den Eid auf die neue Herrschaft.

Für die Juden bedeutete dies aber noch nicht die Erlangung der rechtlichen Gleichstellung mit den Christen. König Karl von Württemberg gewährte diese den Israeliten in seinem Land erst 1864. Zu dieser Zeit war der jüdische Anteil an der Einwohnerschaft Jebenhausens schon stark im Rückgang begriffen. Ein wesentlicher Zuzug wie in den ersten Jahrzehnten nach Gründung der Gemeinde fand nicht mehr statt - ja ganz im Gegenteil, viele jüdische Familien wanderten nach Nordamerika aus, zwischen 1830 und 1870 über 300 Personen. Und von 1849 an gab es eine kontinuierliche Abwanderung in die aufstrebende Industriestadt Göppingen, wo sich die im Handel und im so genannten Verlagswesen erfahrenen Juden zurecht eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation erhofften. Am Ende des 19. Jahrhunderts konnte man die in Jebenhausen lebenden Juden an zwei Händen abzählen. 1899 löste sich die Israelitische Gemeinde Jebenhausen zwangsläufig auf. Die noch in Jebenhausen verbliebenen Juden schlossen sich der bereits 1867 gegründeten Israelitischen Gemeinde Göppingen an. 1874 wurde das seit 1832 bestehende Rabbinat Jebenhausen aufgelöst und dem neu gegründeten Rabbinat Göppingen zugeordnet. Die Tochtergemeinde Göppingen hatte die Muttergemeinde Jebenhausen überflügelt und aufgesogen. Die Göppinger Judengemeinde zählte um 1900 etwa 300 Personen und wuchs danach nur noch unwesentlich an.

In Göppingen wurden einige der zugezogenen Juden zu erfolgreichen Unternehmern. Sie gründeten mechanische Webereien und Spinnereien und führten vor allem die Korsettweberei zu einer Spitzenstellung im Deutschen Reich. Der Übergang in diese neuen wirtschaftlichen Betätigungsfelder war auch dadurch erleichtert, dass die Juden ihre Erfahrungen aus der lange Zeit zwangsweise auferlegten Handelstätigkeit und aus dem so genannten Verlagssystem erfolgreich nutzen konnten.

"Die Juden sollen alle ihre Statuta, Ceremonien und Gebräuche nach ihrem Gesetz und Religion ungehindert exerciren können und dürfen alle ihre Feste begehen, darzu ihnen zu dem Lauberhütten und Pfingstfest aus denen herrschaftlichen Waldungen das Laub unentgeldlich und von dem Jäger gegen ein Taglohn an unschädlichen Orten angewiesen werden, sie auch sogenannte Sabbathsmägde von denen Christen gegen Bezahlung dingen, Dräte ziehen und die Feste öffentlich auf deren Straßen ohne Hinderung und Versperrung derselben begehen."


Zeittafel

im Mittelalter besaß Göppingen eine jüdische Gemeinde, die
im 14.Jh verfolgt und ausgerottet worden ist
1777 Unterzeichnung des Schutzbriefs und Zuzug der ersten jüdischen Familien in das reichsunmittelbare Rittergut Jebenhausen
1778 Anlegung des jüdischen Friedhofs in Jebenhausen
1804 Einweihung der Jebenhäuser Synagoge
1824 Gründung der Israelitischen Volksschule in Jebenhausen
1832 Errichtung des Rabbinats Jebenhausen als neuntes unter dreizehn Rabbinaten in Württemberg
1867 Gründung der "Israelitischen Kirchengemeinde Göppingen"
1874 Verlegung des Rabbinatssitzes von Jebenhausen nach Göppingen
1881 Einweihung der Göppinger Synagoge
1900 Verkauf der Jebenhäuser Synagoge
1903 Einweihung des Jüdischen Friedhofs Göppingen als Abteilung des neu angelegten Göppinger Friedhofs
1905 Abriss der Jebenhäuser Synagoge
1938 Zerstörung der Göppinger Synagoge in der Reichspogromnacht
1941 Beginn der "Endlösung der Judenfrage": Deportation von Göppinger Juden nach Riga
1945 Deportation der letzten in Göppingen lebenden Juden in das KZ Theresienstadt

Die jüdische Siedlung in Jebenhausen

Der Schutzbrief von 1777 enthält auch eine Bestimmung über die räumliche Ansiedlung der Juden in Jebenhausen. In Paragraph 4 ist ausgeführt, dass die Juden sich eigene Häuser bauen sollten auf Plätzen, die man ihnen zu einem günstigen Preis zuwies (Zitat). So entstand neben dem alten Bauerndorf ein neuer Ortsteil entlang des Fahrwegs nach Göppingen. Nach den heutigen Straßenbezeichnungen wurden die jüdischen Häuser - auch in dieser räumlichen Abfolge - entlang der Tintenbachstraße, der Boller Straße und dem Vorderen und Hinteren Berg errichtet.

Schon äußerlich unterschied sich die jüdische Siedlung stark vom alten Jebenhausen. Waren dort die Bauernhäuser im Lauf der Jahrhunderte organisch im Umfeld von Schloss und Kirche gewachsen, so zeigte sich das jüdische Dorf als planmäßig entwickelte Siedlung. Hier reihten sich die Häuser entlang der beiden Seiten der Straße wie Perlen auf einer Schnur. In ihrem Erscheinungsbild wirkten die in kurzer Zeitspanne zwischen 1777 und 1820 errichteten Häuser modern und wie ein geschlossenes Ensemble.

Jüdische Siedlung

Die künstlerisch gestaltete Dorfansicht Jebenhausens zeigt die jüdische Siedlung. Am rechten Bildrand schließt sich das Christendorf mit der Kirche an.

Dass sie gegenüber den alten Bauernhäusern oftmals recht klein und nur einstöckig sind, ist ein Abbild der bescheidenen Vermögensverhältnisse, spiegelt aber noch viel stärker die von den Rechtsverhältnissen bestimmte soziale Situation wider: Als Händler und Hausierer benötigten die jüdischen Familien weder Stall noch Remise unter dem Dach ihres Hauses. Lenkt man den Blick auf die Wohnfläche im Haus, dann ist diese bei Christen- und Judenhäusern ähnlich groß.

Von der ehemaligen jüdischen Siedlung Jebenhausens sind heute noch rund 60 Gebäude erhalten, darunter auch einige, die baulich kaum verändert worden sind. Diese besitzen neben dem bereits Gesagten keine architektonischen Merkmale, die sie als typische Judenhäuser auszeichnen würden. Allenfalls kann man in wenigen Fällen, wo der alte Haustürrahmen bis heute erhalten blieb, am rechten Türpfosten eine schräge Kerbe erkennen, die auf die frühere Befestigung der Mesusa, des Türsegens, hinweist.

"Jebenhausen ... ist in zwei Theile getheilt. Der eine liegt in flacher Ebene und bildet die Christengemeinde; der andere, von diesem durch den Dintenbach und eine Pappelallee getrennt, liegt an einer Anhöhe und enthält die Judencolonie ...".

Aus der Beschreibung des Oberamts Göppingen von 1844.

Luftbild 1937

Blick aus der Vogelperspektive auf Jebenhausen. Auf der Luftaufnahme von 1937 lassen sich noch deutlich die beiden Ortsteile Jebenhausen erkennen: im oberen Bildteil das L-förmige, planmäßig erbaute jüdische Straßendorf, arunter der im Lauf der Jahrhunderte oranisch gewachsene, christliche Dorfteil.

Rundgang durch Jebenhausen

1 Jüdisches Museum
Boller Straße 82

2 Liebenstein'sches Schloss
Heimbachweg 24

3 Häuser von Händlern
Boller Straße 48, 46, 44, 42

4 Synagoge
Boller Straße 36

5 Schule
Boller Straße 36

6 Rabbinatshaus
Boller Straße 31

7 Wohnhaus für Arme
Boller Straße 20

8 Villa Wieseneck
Boller Straße 8/1

9 Gasthaus zum König David
Vorderer Berg 9

10 Wohnhaus des Viehhändlers Max Lauchheimer
Vorderer Berg 23

11 Tauchbad
Hinterer Berg 10/2

12 Friedhof
Kreuzhaldenweg

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Jüdisches Museum

Jebenhausen Boller Straße 82

Das Jüdische Museum

In dem profanierten Kirchengebäude wurde 1992
das Jüdische Museum eröffnet.

 Objekt-Installation 'Sternfragment' von Rudolf Bender, Göppingen

Objekt-Installation
"Sternfragment"
von Rudolf Bender,
Göppingen

Im Juni 1992 wurde in der alten Dorfkirche Jebenhausen ein Museum eröffnet, das die Geschichte der Juden in Jebenhausen und Göppingen zum Thema hat, beginnend mit der Gründung der Landjudengemeinde 1777 und endend mit der Vertreibung und Vernichtung der Mitglieder der jüdischen Gemeinde Göppingen in den Jahren nationalsozialistischer Gewaltherrschaft von 1933 bis 1945. In seinem Grußwort bei der Museumseröffnung wies Landesrabbiner Joel Berger auf die sinnfälligen Bezüge zwischen altem Gemäuer und neuem Inhalt hin, indem er seiner Freude Ausdruck gab, "im Kreis seiner alten Kollegen" sprechen zu dürfen und dabei auf die Apostelbildnisse an der Emporenbrüstung blickte. Schlaglichtartig war damit an die gemeinsamen Wurzeln von Judentum und Christentum erinnert. Dauerhaft verweist auf Verbindendes wie Trennendes in der Geschichte von Judentum und Christentum die an der Südostecke des Gebäudes platzierte Objekt-Installation "Sternfragment" des Göppinger Künstlers Rudolf Bender. Die Arbeit entstand 1996 im Rahmen des Projekts "Begegnung mit dem Fremden", das die Künstlergruppe Spektrum und das Jüdische Museum entwickelt und durchgeführt hatten.

Im Museum gibt es weitere Exponate, die sowohl von der jüdischen wie der christlichen Geschichte des Dorfes Jebenhausen berührt sind. Seit 1905 hängen dort unter der Kassettendecke die vergoldeten Bronzeleuchter der Jebenhäuser Synagoge . Um diese Ausstattungsstücke bemühte sich der evangelische Pfarrer, nachdem die Israelitische Gemeinde Jebenhausen aufgelöst und die Synagoge geschlossen war. Und in dem Gestühl, das im Museum verblieben ist, beteten von 1863 bis 1899 die Juden in der Synagoge, von 1905 bis zur Schließung der alten Dorfkirche im Jahr 1966 die Christen Jebenhausens. Auch diese Bänke waren vor hundert Jahren ein willkommenes Geschenk für das "bescheidene" Dorfkirchlein.

Deckenleuchter aus der Synagoge

Deckenleuchter aus der Synagoge.

Die evangelische Pfarrkirche von Jebenhausen, Aufnahme um 1900

Die evangelische Pfarrkirche von Jebenhausen, Aufnahme um 1900.

Die denkmalgeschützte Kirche wurde 1506/07 erbaut. Das zunächst katholische Gotteshaus wurde 1559 im Zuge der in Jebenhausen vorgenommenen Reformation eine protestantische Kirche. Nach dem Neubau und der Weihe der Andreäkirche wurde 1966 die alte Dorfkirche nicht mehr benötigt. Mit dem Übergang des Gebäudes in das Eigentum der Stadt Göppingen im Jahr 1980 wurde das Gotteshaus als res sacra aufgehoben und damit ein weltliches Gebäude. Die bauliche Sanierung, welche das Gepräge der einfachen Dorfkirche bewahren wollte, erfolgte zwischen 1987 und 1991.

Liebenstein'sches Schloss

Jebenhausen Heimbachweg 24

Das bis heute baulich kaum veränderte Schloss wurde 1686 durch Philipp Albrecht von Liebenstein in der Talaue des Heimbachs am westlichen Dorfrand Jebenhausens errichtet. Für die Wahl des Standorts war die dort gefasste Sauerwasserquelle nicht unwichtig. Schließlich lebte die adelige Familie zu einem guten Teil von den Einnahmen aus dem Kurbetrieb, für den zeitweise auch die Erdgeschossräume des Schlosses zur Verfügung standen.

Schloss der Freiherren von Liebenstein in Jebenhausen.

Schloss der Freiherren von Liebenstein in Jebenhausen.

Das Schloss ist ein ausladender Rechteckbau, dessen Ecken jeweils ein fünfseitiger Erker akzentuiert. Die Ost- und Westseite zieren dreiteilig geschweifte Giebel mit bekrönenden Obelisken. Das aus Angulatensandstein gehauene Hauptportal befindet sich an der Südseite. Es beschließt ein an der Spitze offener Dreiecksgiebel, darunter ist die Jahreszahl MDCLXXXVI - das Baujahr 1686 - eingeschlagen.

Das Schloss befindet sich in Privatbesitz, es ist nicht öffentlich zugänglich.

Häuser von Händlern

Jebenhausen Boller Straße 48, 46, 44, 42

Giebelzier
Häuserzeile jüdischer Handelsleute

Häuserzeile jüdischer Handelsleute in der Boller Straße (Nr. 48, 46, 44; von links nach rechts). Giebelzier mit dem Davidstern vom Haus Boller Straße 48.

An der Boller Straße steht eine Folge kleiner Häuser, die durch ihre niedrige Bauweise ins Auge fallen. Es sind baulich kaum veränderte Doppelwohnhäuser jüdischer Handelsleute. Zu ebener Erde besaß ein Hausteil einen gemeinschaftlichen Eingang mit Vorplatz und Treppe zur Bühne, zwei Zimmer, Küche und Abort.

Wenn die Juden nicht mit Vieh handelten, dann betrieben sie den Hausierhandel. Sie zogen mit einer Trage oder "dem Zwerchsack auf dem Rücken" über die umliegenden Dörfer und Städte, gingen von Haus zu Haus und boten den Bauern und Bürgern feinesTuch, baumwollene und leinene Stoffe, Bänder und Borten, Leder, Felle, Betten, Uhren und allerlei Altwaren zum Kauf an.

Christliche Kaufleute beargwöhnten die Handelstätigkeit der Juden und machten immer wieder Versuche, diese durch obrigkeitliche Anordnungen einschränken zu lassen. (Zitat)

Acht Göppinger Kaufleute machten 1828 eine Eingabe zur Eindämmung des Handels der Juden, in der es am Schluss heißt:

"Alles dieses gereicht nicht nur den sämtlichen vaterländischen Christen zum unersetzlichen Nachteil, sondern es strebt gegen alle, den württembergischen Kauf- und Gewerbsleuten, den sämtlichen Staatsbürgern eingeräumten Rechte, es untergräbt das Wohl des Vaterlandes, und wird so lange fortdauern, als nicht von Seiten der königl. Regierung sehr kräftige Maßregeln dagegen ergriffen werden."

Die Vorsteher der Jebenhäuser Judengemeinde entgegneten mit einer langen Erklärung, in der sie u. a. ausführten:

"Wer aber ein ganzes Volk, einen ganzen Stand schmähet, begehet schon darum jedenfalls eine grobe Ungerechtigkeit, weil nie alle sich gleich sind, und wer die Beschuldigung solch schwerer Vergehen ausspricht, ohne solche, wenn sie geleugnet werden, beweisen zu können, wie dies uns und unseren Gegnern der Fall ist, der stempelt sich selbst zum Verläumder, und wirklich von einem solchen Geiste der Verläumdung ist die ganze Eingabe beseelt."

Synagoge

Jebenhausen Boller Straße 36 (ehemaliger Standort)

Die ersten jüdischen Familien, die in Jebenhausen eine neue Heimat gefunden hatten, versammelten sich zum Gottesdienst in einem 1779 errichtem Betsaal, über den wir keine weiteren Kenntnisse besitzen. Als dieser für die auf rund 40 Familien angewachsene Gemeinde zu klein war, begann man 1798 mit der Planung eines Synagogenneubaus. 1800 wurde hierfür der Bauplatz erworben. Mit Hilfe zahlreicher Spenden befreundeter jüdischer Gemeinden und Darlehen konnte das Bauvorhaben verwirklicht werden.

Der Lageplan von 1886 zeigt den Grundriss der Synagoge und der benachbarten Schule der jüdischen Gemeinde.

Die Synagoge wurde 1804 feierlich eingeweiht. Es handelte sich um einen schlichten Saalbau mit rundbogigen Fenstern und einem Krüppelwalmdach. (Zitat) Zur heutigen Boller Straße grenzte die Ostwand der Synagoge, an der unter einem runden Fenster der Thoraschrein stand. Die Synagoge war der religiöse Mittelpunkt des jüdischen Ortsteils, mit dessem weiteren Anwachsen bald auch sein räumliches Zentrum.

Synagoge um 1890

Abbrucharbeiten an der Synagoge im Jahr 1905.

Thoraschrein

Synagoge um 1890.
Der Blick in die Synagoge zeigt den Thoraschrein und die wertvollen Deckenleuchter.

1862/63 wurde die Synagoge umfassend renoviert. An die Stelle beweglicher Betpulte traten nun fest montierte Bänke. Mitglieder der Gemeinde stifteten wertvolle Ausstattungsstücke, Daniel Rosenthal unter anderem fünf aus Bronze gegossene und vergoldete Kronleuchter.

Mit der Auflösung der Israelitischen Gemeinde wurde am 31. Dezember 1899 in der Synagoge letztmals ein Gottesdienst gefeiert. Das nicht mehr benötigte Gebäude wurde zum Abbruch an die Korsettfabrik Rosenthal, Fleischer & Co. veräußert. Sie benutzte den ehemaligen Synagogenraum als Lagerfläche bis zum Weiterverkauf an die bürgerliche Gemeinde Jebenhausen. Diese war nach der Zerstörung des Rathauses durch einen Brand auf der Suche nach einem Bauplatz für ein neu zu erbauendes Rathaus mit Feuerwehrmagazin. Hierfür wurde die ehemalige Synagoge 1905 abgerissen. Zuvor wurden noch zehn Bänke und die wertvollen Deckenleuchter in die evangelische Kirche Jebenhauses verlagert, wo sie bis zuletzt in Gebrauch waren und heute Teil der Ausstellung des Jüdischen Museums sind.

Synagoge Jebenhausen um 1890

"Der Tempel, ihre Synagoge, ist erst seit 1804 erbaut, mit gewölbten Fenstern und einer hebräischen Inschrift von außen, von innen mit Predigt- und Betstühlen, Emporkirchen und erhandelten Kronleuchtern auch einfach verblendet."
Schilderung von Gustav Schwab aus dem Jahr 1823.

Schule

Jebenhausen Boller Straße 36 (ehemaliger Standort)

Die schulfähigen Kinder der jüdischen Familien wurden in den Anfangsjahren der Gemeinde vom Rabbiner und von Privatlehrern unterrichtet. Noch gab es hierfür weder staatliche Auflagen noch eine Schulaufsicht. Erst die Vorarbeiten zum 1828 erlassenen so genannten Israelitengesetz brachten eine Änderung: So wurde die Privatschule schon 1824 in eine öffentliche Elementarschule umgewandelt.

Unterrichtet wurde zunächst in zwei angemieteten Schulräumen. Als diese für die 68 Schüler und Schülerinnen zu klein waren, wurde 1825 der Bau eines neuen Schulhauses mit zwei Schulzimmern hinter der Synagoge beschlossen.


Das jüdische Schulhaus vor seinem Abriss im Jahr 1974.

In der jüdischen Schule unterrichteten zwei Lehrer. Der so genannte "deutsche" Lehrer war für die Fächer Biblische Geschichte, Deutsche Sprache, Rechnen, Schön- und Rechtschreiben und Deutscher Gesang angestellt. Der "hebräische" Lehrer unterrichtete Hebräische Sprache, Religionslehre und Hebräische Briefschrift.

Bis 1836 war auschließlich die jüdische Gemeinde für die Bestreitung der Schulkosten und Lehrerbesoldung zuständig. Mit Erlass des Volksschulgesetztes in selbigem Jahr wurde aus der Privatschule eine israelitische Volksschule, für deren Unterhalt die Ortsgemeinde insgesamt aufkommen musste. Vom Neubau einer gemeinsamen Volksschule wurde aus Kostengründen abgesehen, die Lokale der christlichen Schule bei der Kirche und der jüdischen Schule bei der Synagoge wurden beibehalten.


Schreibheft der 1837 geborenen Mina Levi mit persönlichen Eintragungen aus dem Zeitraum 1857 bis 1859

Am 1. Juli 1865 wurde die jüdische Volksschule geschlossen, da die Zahl der schulpflichtigen Kinder unter die verlangte Anzahl von 15 gesunken war. Von 1870 bis 1875 lebte die jüdische Konfessionsschule für kurze Zeit nochmals auf, als man 16 Schüler unterrichten konnte. Von 1878 bis 1894 wurde in einem Zimmer im oberen Stock des Schulhauses eine israelitische Privatschule eingerichtet. Diese bestand bis 1894. Später diente das ehemalige Schulhaus Wohnzwecken. Es wurde 1970 abgerissen.

Lehrer Bernhard Kahn

Lehrer Bernhard Kahn.

Bernhard Kahn war der letzte jüdische Lehrer in Jebenhausen, wo er an der Privatschule in den 1890-er Jahren unterrichtete.

Rabbinatshaus

Jebenhausen Boller Straße 31

Mit dem Israelitengesetz von 1828 wurde die Stellung des Rabbiners in der Gemeinde neu definiert. Er war jetzt nicht mehr für ausschließlich religiöse Angelegenheiten zuständig, sondern auch für die Leitung und Organisation der Gemeindeverwaltung. 1832 wurde Jebenhausen das 9. Rabbinat von insgesamt 13 im Königreich Württemberg.

Für die Verwaltungsgeschäfte und als Wohnhaus des Rabbiners erwarb die jüdische Gemeinde 1838 ein gegenüber der Synagoge gelegenes Haus. 1874 wurde das Rabbinat Jebenhausen aufgelöst und durch das Rabbinat Göppingen ersetzt. Infolge dieser Neuorganisation wurde das Rabbinatshaus verkauft. Rabbiner Max Herz, der schon 1844 als 29-Jähriger in Jebenhausen ins Amt gekommen war, hatte seinen Wohnsitz bereits 1868 in die aufstrebende jüdische Gemeinde Göppingens verlegt.

Rabbinatshaus

In diesem Haus wurden 1838 Wohnungen für den Rabbiner und Schullehrer eingerichtet.

Wohnhaus für Arme

Jebenhausen Boller Straße 20

Die in Jebenhausen zugezogenen Juden waren nicht alle so vermögend, dass sie sich alsbald an den Bau eines eigenen Hauses machen konnten. Die wohlhabenderen Juden in der Gemeinde zeigten sich solidarisch und gewährten 1782 acht armen Familien ein Darlehen, damit diese sich ein gemeinschaftliches Wohnhaus erbauen konnten. Im Volksmund wurde das langgestreckte Gebäude "Judenbau" genannt.

gemeinschaftliches Wohnhaus

Ehemaliges Wohnhaus für verarmte jjüdische Familien. Aufnahme um 1870/80.

Die Schuldner konnten allerdings das geliehene Geld innerhalb der vereinbarten Zeitspanne von vier Jahren nicht zurückzahlen. Von jeder Familie wurde schließlich verlangt, eine wöchentliche Rate von vier Kreuzern zurückzubezahlen (60 Kreuzer = 1 Gulden).

Villa Wieseneck

Jebenhausen Boller Straße 8/1

Heinrich Sontheim Die Villa Wieseneck ist neben dem Liebenstein’schen Schloss das einzig herrschaftliche Gebäude in Jebenhausen. Ihr Erbauer war der Kammersänger Heinrich Sontheim, der als der bedeutendste Sohn Jebenhausens bezeichnet werden darf.

Heinrich Sontheim war 1820 in Jebenhausen zur Welt gekommen. Seine Eltern betrieben zu diese Zeit die Gaststätte zum König David. Seine stimmliche Begabung konnte man zuerst in der Jebenhäuser Synagoge erleben, wo er als Knabe an den Festtagen sang.

Concert Heinrich Sontheim wurde ein berühmter Kammersänger. Für viele Jahre, von 1851 bis 1872, hatte er eine feste Anstellung am Württembergischen Hoftheater in Stuttgart. Bei Gastspielen auf den Bühnen im In- und Ausland wurde Sontheim als "Kaiser der Tenöre" gefeiert. (Zitat)

Heinrich Sontheim Als sich der Königliche Hof- und Kammersänger als etwas über Fünfzigjähriger in den Ruhestand zurückziehen wollte, kam Sontheims persönliche Anhänglichkeit an seinen Gebursort Jebenhausen zum Vorschein. Am nördlichen Dorfausgang ließ er sich einen repräsentativen Alterssitz, "Villa Wieseneck" genannt, und in direkter Nachbarschaft ein großes Ökonomiegebäude erbauen. Dorthin zog er mit seiner dritten Gemahlin Nanny Hermann. Das Ehepaar wollte sich fortan ganz der Ruhe des Dorfes und den Reizen der Natur hingeben. (Zitat)


Sontheims Altersitz "Villa Wieseneck" in Jebenhausen.Aufnahme um 1900.

Sontheim feierte im November 1874 ein Aufsehen erregendes Come-back als Künstler, als er wieder vor Stuttgarter Publikum auftrat. Alsbald verlegte er seinen Wohnsitz in die württembergische Metropole und veräußerte 1889 das Jebenhäuser Anwesen. An seinem achtzigsten Geburtstag im Jahr 1900 gab Sontheim seine Abschiedsvorstellung. Er konnte nicht nur auf ein erfülltes Künstlerleben, sondern auch auf eine Vielzahl hoher Auszeichnungen und Ehrungen zurückblicken, als er 1912 in Stuttgart verstarb. Zu dieser Zeit hatte die Villa Wieseneck einen nicht weniger berühmten Bewohner: Pfarrer Christoph Blumhardt (der Jüngere) verbrachte seinen Lebensabend bis zum Tod im Jahr 1919 in dem Landhaus am Jebenhäuser Ortsrand. 1917 wurde das Anwesen in die Stiftung Kinderheim Wieseneck eingebracht.

Wien war zu einer Art zweiten Heimat Sontheims geworden, in der Donaustadt feierte er triumphale Erfolge. Der Bericht eines Kulturkritikers aus dem Jahr 1868 über seine Rolle als Eleazar in "Die Jüdin" macht dies deutlich:

"Auch das Wiener Publikum konnte sich ihrer Wirkung nicht entziehen und brach dem Gast gegenüber wiederholt in einen wahren Jubel aus. Ein kaum dagewesener Fall ereignete sich während des vierten Aufzugs: Bei offener Szene legten die Orchestermitglieder ihre Instrumente weg und stürmten mit dem Publikum Beifall. Nach dem Schluß der Oper wurde Herr Sontheim achtmal gerufen."

Leo Adler, der Biograf Heinrich Sontheims, über dessen Rückzug ins ruhige Jebenhausen:

"Jetzt konnte er sich in alle Ruhe den Freuden der Landwirtschaft hingeben, seine Weidmannslust befriedigen; denn er hatte neben den zwölf Morgen Wiesen und Äckern auch ein großes Stück Wald. Pferde und Wagen hielt er schon in Stuttgart, mit denen er 1871 gelegentlich eines Gastspiels in Frankfurt Aufsehen erregte. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er einer Baumschule und die von ihm gezogenen Stämmlinge wurden mit Vorliebe gekauft. Hier in der Heimat, die ihm stets so viel galt und die er oft von Stuttgart aus auch ohne Urlaub zu Pferde aufsuchte und manchen Verweis dafür einheimste, hier fühlte er sich wohl. ... Er sehnte sich nach jener Ruhe, die abseits vom hetzenden Getriebe der Großstadt liegt und die fand er hier auf dem Lande."

Gasthaus zum König David

Jebenhausen Vorderer Berg 9

Wer sich entsprechend der Religionsvorschriften verköstigen wollte, musste auf eine koschere Küche achten. Eine solche boten in Jebenhausen die jüdischen Gasthäuser, von denen es zeitweise mit dem Rößle (Boller Straße 16), Ochsen (Boller Straße 18), Waldhorn (Boller Straße 21) und König David (Vorderer Berg 9) gleich vier gab.

Wirtshausschild aus der Zeit um 1800 Das älteste Gasthaus ist der 1799 eröffnete König David. Wer von Göppingen kommend am Vorderen Judenberg - wie die Straße bis 1934 hieß - Jebenhausen erreichte, dem signalisierte das Stechschild über dem Wirtshauseingang mit einem Harfe spielenden König David, dass er sich im jüdischen Teil des Dorfes befand. Das alte Wirtshausschild ist heute im Jüdischen Museum ausgestellt. Es ist zum Erkennungszeichen des Museums geworden.


Postkarte vom König David.

Das Gasthaus behielt seinen angestammten Namen bei, auch als es 1869 erstmals in christlichen Besitz kam. Erst 1984 erfolgte die Umbenennung in Pension Elisabeth. Das alte Wirtshaus war 1968 abgebrochen und an seiner Stelle ein Neubau errichtet worden.

Wohnhaus des Viehhändlers Max Lauchheimer

Jebenhausen Vorderer Berg 23

Die Familie des Viehhändlers Max Lauchheimer war die am längsten in Jebenhausen lebende jüdische Familie. Das an der "Judensteige" erbaute Wohnhaus mit rückwärtigem Stallgebäude kam schon 1839 in den Besitz der Familie von Immanuel Lauchheimer (1801-1863), ein Nachkomme des 1777 mit den ersten Zuwanderern nach Jebenhausen gekommenen Abraham Sandel Lauchheimer.

Max und Betty Lauchheimer vor ihrem Haus in Jebenhausen

Max und Betty Lauchheimer vor ihrem Haus in Jebenhausen.

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Max Lauchheimer, am 13. Juni 1871 in Jebenhausen geboren, führte als Viehhändler das elterliche Geschäft weiter. Alle anderen jüdischen Viehhändler - 1863 waren dies 23 - ließen sich noch vor dem Ersten Weltkrieg in Göppingen nieder.

Als Max Lauchheimer am 20. Mai 1939 starb, wurde er als Letzter auf dem Jüdischen Friedhof von Jebenhausen bestattet Bxx). Seine Gattin Betty blieb in Jebenhausen mit der verheirateten Tochter, Schwiegersohn und Enkelkind wohnen. Die Tochter Regina, ihr Ehegatte Berthold Auerbacher sowie deren einziges Kind, die Tochter Inge, waren auf Grund der Ereignisse in der Pogromnacht von ihrem Wohnort Kippenheim im Mai 1939 nach Jebenhausen gezogen, wo sie sich sicherer fühlten. Betty Lauchheimer wurde mit der ersten Deportationswelle im November 1941 nach Osten verschleppt. Ihre Spur verliert sich im Konzentrationslager Riga.

Die Familie Auerbacher musste in ein so genanntes Judenhaus in die Metzgerstraße nach Göppingen umziehen. Von dort wurde die dreiköpfige Familie im August 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Alle hatten das Glück, der Hölle lebend zu entkommen, als das Lager Anfang 1945 befreit wurde. Inge Auerbacher (Zitat) hat ihre Kindheit im Konzentrationslager unter dem Titel "I am a star" 1986 in Amerika, später in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Ich bin ein Stern", veröffentlicht.

"Trotz allem, was passiert ist, gehen einige meiner glücklichen Kindheitserinnerungen auf die zwei Jahre zurück, die wir in Jebenhausen verbracht haben. Meine Großeltern und wir waren die einzige jüdische Familie, die noch in diesem Dorf von ungefähr zwölfhundert Einwohnern geblieben war. Die Kinder waren freundlich zu mir und gaben mir nie das Gefühl, abgelehnt zu werden."
Inge Auerbacher in ihrem Buch "Ich bin ein Stern".

Tauchbad

Jebenhausen Hinterer Berg 10/2

Das ehemalige Tauchbad wurde durch An- und Umbauten zu einem Wohnhaus Das Tauchbad, die so genannte Mikwe, ist eine obligatorische Einrichtung in jeder jüdischen Gemeinde. Dieses muss von fließendem Wasser gespeist werden und wird von den Frauen nach Menstruation oder Entbindung zur rituellen Reinigung besucht.

Die erste Mikwe in Jebenhausen, deren Standort wir nicht kennen, wurde schon 1778 auf Grund und Boden der Ortsherrschaft von Liebenstein eingerichtet. (Zitat) Weil dieses Badhaus baufällig war, entschloss sich die jüdische Gemeinde 1837 zum Bau eines neuen Tauchbads, nicht weit von der Synagoge im rückwärtigen Bereich des Hinteren Judenbergs und der Gaststätte zum Waldhorn. 1841 war die Einrichtung fertiggestellt. Sie wurde bis 1875 benutzt. Durch An- und Umbauten wurde das ehemalige Tauchbad zu einem Wohnhaus erweitert.

"Wird die Herrschaft zum jüdischen gesezmäßigen Gebrauch deren Juden-Weiber auf ihren der Herrschaft eigenen Gütern einen Brunnen einmachen und ein Häuslein darüber bauen lassen, für deren Erhaltung aber sodann die Juden zu sorgen."
Aus dem Schutzbrief von 1777, Paragraph 13.

Friedhof

Jebenhausen Kreuzhaldenweg

Der jüdische Friedhof entstand außerhalb der Siedlung an einem Hanggrundstück, in dessen Nähe damals die Fahrstraße nach Göppingen verlief. Nach den Bestimmungen im Schutzbrief war die Ortsherrschaft zur Schaffung eines Begräbnisplatzes verpflichtet. (Zitat) Dies geschah bereits 1778, ein Jahr nach der Gründung der jüdischen Gemeinde. Die erste Bestattung fand 1781 statt.

Gemäß der Vorstellung im Judentum, dass die Ruhe der Toten nicht gestört werden darf und diese ein hohes Gut darstellt, bleiben die Grabstellen für immer erhalten. So ist auch heute noch der erste, 1781 gesetzte Grabstein anzutreffen. Es handelt sich um das Grab von Salomon Ottenheimer, der mit Elias Gutmann zum Kreis der ersten Schutzjuden gehörte, die 1777 in Jebenhausen eingetroffen waren.


Blick in den älteren Teil des Friedhofs.

Grabstein Elise Gutmann

Grab von Elias Gutmann auf dem Jüdischen Friedhof Jebenhausen.

Als 1839 der Friedhof weitgehend belegt war, wurde er - vom heutigen Eingang aus gesehen - in westlicher Richtung um gut die doppelte Fläche erweitert und mit einer Mauer eingefasst.

Auf dem Friedhof in Jebenhausen wurden auch die Verstorbenen der jüdischen Gemeinde Göppingen sowie der im Umkreis vereinzelt lebenden jüdischen Familien bestattet. Eine Änderung trat erst 1904 ein. Auf dem neu angelegten Göppinger Friedhof an der Hohenstaufenstraße wurde auf Betreiben der jüdischen Gemeinde Göppingen eine Israelitische Abteilung eingerichtet. In Jebenhausen wurde weiterhin bestattet, aber nach dem Ersten Weltkrieg nur noch in wenigen Fällen. Die letzte Beisetzung erfolgte 1939, als Max Lauchheimer in Jebenhausen verstarb.

Max Lauchheimer


Die Witwe, Tochter und Enkelkind am Grab von Max Lauchheimer.

Der jüdische Friedhof in Jebenhausen zählt rund 350 Grabsteine. Die Statistik nennt im alten Teil 179 Bestattungen, im neuen 282. Symbole und Ornamente auf den Grabstelen, die auf Herkunft, Name oder Amt des Verstorbenen hinweisen, sind eher selten. Ein Gang durch die Grabreihen in der Chronolgie der Sterbejahre macht den Wandel im Leben der jüdischen Gemeinde deutlich. Mit der rechtlichen Gleichstellung der Juden ging eine Anpassung (Assimilation) an die bürgerlich-christliche Kultur der Mehrheit einher.


Grabsteine im neueren Teil des Friedhofs, Aufnahme um 1930.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Friedhof von Zerstörungen verschont. Danach kam es in drei Fällen zu Schändungen, zuletzt wurden an Weihnachten 1994 Grabsteine umgestossen. Die aus dem rechsextremistischen Lager stammenden jugendlichen Täter wurden später gefasst und verurteilt.

Das Tor zum jüdischen Friedhof ist verschlossen. Der Schlüssel ist im Jüdischen Museum (Boller Straße 88) zu den Öffnungszeiten und im Bezirksamt Jebenhausen (Boller Straße 12) zu den Dienstzeiten erhältlich. Ein jüdischer Friedhof sollte am Schabbat nicht betreten werden. Männer sollten eine Kopfbedeckung tragen.

"Die Herrschaft wird denen Juden einen Begräbnisplaz von einem Morgen anschaffen, selbigen einmachen und umzäunen lassen, für dessen Erhaltung aber die Juden sodann zu sorgen. ... Und so jemand boshafter Weise solch Begräbnus entunehren, die Gräber violieren, die Grabsteine zerschlagen oder sich sonsten vergreifen würde, solle denen Juden, wenn sie den Täter ausfindig machen und rechtlich überführen können, alle Satisfaktion gegeben und ein solcher also bestraft werden, als ob er sich an dem christlichen Kirchhof vergriffen hätte, nicht weniger."
Aus dem Schutzbrief von 1777, Paragraph 12.

Orte jüdischer Vergangenheit und Erinnerung in Göppingen

Betsaal (A)

Pfarrstraße 33

Mahnmal (B)

Schlossgarten

Synagogenplatz (C)

Ecke Freihofstraße/Burgstraße

Rabbinerhaus (D)

Freihofstraße 46

Gedenktafel für Rabbiner Dr. Aron Tänzer (E)

Kornhausplatz 1, Stadtbibliothek

Jüdische Abteilung des Göppinger Friedhofs (F)

An der Hohenstaufenstraße

Durch Anklicken der Pläne werden große Skizzen angezeigt

Betsaal (A)

Göppingen Pfarrstraße 33

Die 1867 gegründete Jüdische Gemeinde Göppingen hatte von Anfang an das Bestreben, in ihrer Gemeinde eine Synagoge zu errichten. Bis es dazu kam, diente fast zehn Jahre lang ein Betsaal für den Gottesdienst, der 1872 im Stil einer Synagoge in einem neu erbauten Wohnhaus an der nordwestlichen Ecke der Kreuzung von Schiller- und Pfarrstraße ausgebaut worden war. Die hohen Rundbogenfenster, durch den Verlauf der Emporen geteilt, und ein kleiner Anbau an der Ostwand für den Thoraschrein zeigten deutlich den Kultcharakter des Gebäudes und hoben es damit von den benachbarten Wohnhäusern ab. Im oberen Stock befand sich die Wohnung des Rabbiners und ein Schulraum für den Religionsunterricht.

 

Ansicht und Grundriss des Betsaals.

Mit der Fertigstellung des Synagogenneubaus an der Freihofstraße wurde der Betsaal aufgegeben, das Gebäude zum Wohnhaus umgebaut und seine Fassade mit klassizistischen Stilelementen neu gestaltet. Die letzte Renovierung erfolgte 1980/81 durch den Bürgerverein Göppingen.


Das Wohnhaus, in dem sich früher im Erdgeschoss und 1. Stockwerk der Betsaal befand.

Mahnmal (B)

Göppingen Schlossgarten


Mahnmal im Göppinger Schlossgarten.

Im Göppinger Schlossgarten steht ein Stein des Denk-Anstoßes. Der Monolith wurde auf Beschluss des Gemeinderats der Stadt 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet und im November 1995 eingeweiht. Das Mahnmal trägt eine Tafel mit der Inschrift: "Den Opfern nationalsozialistischer Gewaltherrschaft 1933-1945. Ihr Leiden und Sterben sei uns Mahnung zu Toleranz und Menschlichkeit".

Das Mahnmal erinnert an die 92 in den Konzentrationslagern ermordeten Angehörigen der jüdischen Gemeinde Göppingen, aber auch an das Schicksal der politisch und religiös Verfolgten, der Angehörigen der Sinti und Roma und der in der so genannten "Aktion T4" aus der Heilanstalt Christophsbad verlegten und in Grafeneck und Hadamar getöteten Pfleglinge.

Synagogenplatz (C)

Göppingen Ecke Freihofstraße/Burgstraße

Am 60. Jahrestag der Zerstörung der Göppinger Synagoge erhielt der leere Platz an der Freihofstraße den Namen "Synagogenplatz". Ein erstes Zeichen der Erinnerung an die verbrecherische Tat war bereits 1971 mit der Aufstellung einer Gedenktafel gesetzt worden.


Blick in den Innenraum der Göppinger Synagoge.


Gedenktafel am Synagogenplatz

Den Grundstein zum Bau einer Synagoge hatte man im April 1880 gelegt. Damals zählte die aufstrebende jüdische Gemeinde Göppingens rund 200 Mitglieder. Die Pläne für den Neubau stammten von dem Kirchenbaumeister Professor Christian Friedrich von Leins. Zu dieser Zeit gab es erst wenige jüdische Architekten; die bis 1828 für Juden bestehende Verbote bei der Berufswahl wirkten noch lange Zeit nach.

Die Göppinger Synagoge war wie die überwiegende Zahl der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts errichteten jüdischen Gotteshäuser ein Zentralbau mit einer mächtigen Kuppel, die sich über einem achteckigen Sockelgeschoss erhob. Der Grundriss des eigentlichen Kultraums war ein Quadrat. Diesen erreichte man von der Freihofstraße aus über eine vorgelagerte Eingangshalle. Deren dreieckigen Giebel bekrönten die Gesetzestafeln. In ihrem Baustil zeigte die Göppinger Synagoge eher Merkmale der Renaissance als der Romanik.


Die Göppinger Synagoge im Jahr der Einweihung, 1881.

Am 16. September 1881 zogen die Gemeindemitglieder vom bisherigen Betsaal zum neuen Gotteshaus, das Rabbiner Max Herz mit einer Festpredigt einweihte. Unter den Festgästen waren auch die Geistlichen der christlichen Konfessionen und die Mitglieder von Bürgerausschuss und Gemeinderat. Die Zeitung, die über dieses Ereignis berichtete, knüpfte daran den Wunsch, "daß das schöne Einvernehmen zwischen den Bürgern der verschiedenen Konfessionen unserer Stadt unverändert fortbesteht".

Als in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ein SA-Trupp das Portal der Synagoge aufbrach und einen Brandsatz legte, war von dieser Hoffnung nichts mehr vorhanden. Am Tatort gab es im Kreis der Zuschauer nur wenige Stimmen, die die Feuerwehr zum Löschen aufforderten. Der Amtsgerichtsrat Gebhard Müller, der spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, wurde für eine solche Forderung und die anderntags erstattete Anzeige rasch versetzt. Der Feuerwehrkommandant Karl Keuler, vorsorglich schon nicht alarmiert, verlor seinen Posten.

Die Brandruine wurde gesprengt, der Platz eingeebnet und als öffentliche Grünfläche angelegt. Danach kamen die wenigen in Göppingen noch lebenden Juden zum Gebet und Gottesdienst in einem Wohnhaus in der Frühlingstraße zusammen.


Die zerstörte Synagoge am Tag nach der Pogromnacht.

Rabbinerhaus

Göppingen Freihofstraße 46


Ansicht des späteren Rabbinerhauses in der Bauakte von 1878.

Das Rabbinerhaus stand in direkter Nachbarschaft zur Synagoge. Es war 1880 von dem Weinhändler Karl Endriß im damals beliebten Schweizerstil mit einer Holzschindelfassade erbaut worden.1908 hatte die Israelitische Gemeinde das Anwesen gekauft, um darin die Rabbinatsverwaltung und Wohnungen für den Rabbiner und den Vorsänger einzurichten. Das Haus bezogen der Rabbiner Dr. Aron Tänzer und der Vorsänger Carl Bodenheimer mit ihren Familien.


Das ehemalige Rabbinerhaus, Aufnahme von 2000.

Gedenktafel für Rabbiner Dr. Aron Tänzer

Göppingen Kornhausplatz 1, Stadtbibliothek


Gedenktafel für Dr. Aron Tänzer.

Dr. Aron Tänzer engagierte sich in den drei Jahrzehnten, die er in Göppingen wirkte, weit über seine dienstlichen Aufgaben in der Gemeinde hinaus. Er machte sich als Wissenschaftler und Publizist einen Namen und wirkte in Göppingen für das Gemeinwohl. So setzte er sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg besonders stark für die Gründung einer öffentlichen Bibliothek als Beitrag zur Erziehung und Bildung der Jugend ein. Diese wurde 1909 im Rabbinerhaus eröffnet und von Dr. Tänzer lange Zeit ehrenamtlich betreut.

Aufruf zu Bücherspenden

Für seine Verdienste um die Stadtbibliothek wurde Dr. Tänzer 1984, zum 75-jährigen Bestehen der Einrichtung, posthum geehrt. In der Stadtbibliothek im Adelberger Kornhaus wurde eine Erinnerungstafel angebracht, geschaffen von dem Künstler Hans Nübold. Sie zeigt ein reliefiertes Porträtbild Dr. Tänzers und trägt die Inschrift: "Dem Förderer des guten Buches, dem Wegbereiter und ersten Leiter unserer Stadtbibliothek / Rabbiner Dr. Aron Tänzer 1871-1937 / In dankbarer Erinnerung Stadt Göppingen / im Oktober 1984".

Jüdische Abteilung des Göppinger Friedhofs

Göppingen An der Hohenstaufenstraße


Jüdische Abteilung auf dem Göppinger Friedhof.

Als nach 1900 in Göppingen die Schaffung eines neuen Friedhofs am Rand der Stadt diskutiert wurde, brachte die jüdische Gemeinde erfolgreich ihr Interesse an einem Gräberfeld ins Gespräch. Es wurde im nördlichen Bereich des Friedhofs platziert und kann auch durch ein eigenes Tor betreten werden. Vom Haupteingang des Friedhofs gelangt man heute zur Israelitischen Abteilung, indem man nach der Friedhofskapelle den zweiten Fußweg links hinaufgeht.

Der jüdische Friedhofsteil umfasst 135 Gräber. Er ist heute nur noch halb so groß, wie er 1903 bei der Einweihung war. Die noch nicht belegte Hälfte wurde 1939 nach der formalen Auflösung der jüdischen Gemeinde von der Stadt Göppingen erworben.

Auf dem Friedhof befindet sich das Grab des Rabbiners Dr. Aron Tänzer, der 30 Jahre in Göppingen wirkte und am 27. Februar 1937 hier verstarb. Besondere Beachtung verdient auch der urnenförmige Grabstein des im Ersten Weltkrieg gefallenen Max Netter, den der bekannte Künstler und Gestalter Friedrich Adler entwarf.

Familiengrab Dörzenbacher

Auf dem Friedhof befinden sich viele Gräber ehemaliger KZ-Häftlinge, deren sterblichen Überreste nach 1945 geborgen und hierher umgebettet wurden. Eindrücklich und symbolhaft erinnert eine abgebrochene Grabstele an ein zu früh zu Ende gegangenes Leben - an das Leben der Gizela Perl, das im Alter von 30 Jahren im Konzentrationslager Geislingen erlosch.

1953 ließ die Israelitische Kultusgemeinde Württemberg-Hohenzollern auf dem Friedhof ein Denkmal für die Opfer des Holocaust errichten. Die von zwei flachen Steinschalen gerahmte, hoch aufragende Steinplatte trägt den Davidstern und darunter in Hebräisch und Deutsch Inschriften zum Gedenken an die 1933 bis 1945 ermordeten Brüder und Schwestern der Gemeinde. Der deutsche Text lautet: "Wir gedenken aller Brüder und Schwestern der Gemeinde, die in den Jahren 1933-1945 ihr Leben lassen mussten und in fremder Erde ruhen." Die hebräische Inschrift hat ins Deutsche übersetzt folgenden Wortlaut: "Zum Andenken an alle unsere Brüder und Schwestern, Kinder der Gemeinde Göppingen, die in den Krallen der wilden Bestie umkamen."


Holocaust-Denkmal auf dem Jüdischen Friedhof in Göppingen.

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